Stefan Grass
Leiter des Komitees Olympia-kritisches Graubünden
2019: Kaum jemand möchte noch Olympische Winterspiele. Das liegt auch an einem harten Gegner aus der Schweiz.
2018: Seit den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 zeigt sich die fehlende Sinnhaftigkeit von solchen Sportgrossveranstaltungen im Alpenraum. Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden, der seit 18 Jahren die Kandidaturen für Olympische Winterspiele in Graubünden für 2010, 2014, 2022 und 2026 erfolgreich bekämpfte, zieht Bilanz.
2018: Stefan Grass hat die Kandidatur für Olympische Spiele in Graubünden gebodigt. Jetzt soll er Sion 2026 verhindern.
Mauspfeil auf dem Titel zeigt Medium, Datum und Lead:
15.11.2017
Die Bevölkerung Tirols erteilt Olympia 2026 eine Absage. Der sportliche Grossanlass hat alpenweit einen schweren Stand. (CIPRA International)
Noch deutlicher als in Tirol/A fiel die Antwort in der Landeshauptstadt aus: Innsbruck schmetterte eine olympische Kandidatur mit 67.4 Prozent ab. In der Abstimmungsvorlage war von «regional angepassten sowie wirtschaftlich und ökologisch vertretbaren Olympischen und Paralympischen Winterspiele» für 2026 die Rede. Doch die vollmundigen Worte konnten die Bevölkerung nicht vom Reformwillen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) überzeugen. Die negativen Schlagzeilen rund um das IOC reissen nicht ab: Korruptionsvorwürfe und Verschuldung in Rio, historische Kostenexplosion in Sotschi, Kunstschnee-Spiele in Peking.
Nach wie vor fehlen grundlegende Reformen. Die Bevölkerung in den Alpen wehrt sich gegen den rücksichtlosen Gigantismus Olympias, wie die Abstimmung in Tirol zeigt. Olympische Winterspiele in der derzeitigen Form sind weder umwelt- noch sozialverträglich, sagt auch die CIPRA in ihrem Positionspapier «Olympiafreie Alpen». Katharina Conradin, Präsidentin von CIPRA International, betont: «Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass die Berge sich nicht für diesen umweltzerstörerischen und ruinösen Grossanlass eignen.»
Im Wallis/CH steht eine Kandidatur von Sion nach wie vor zur Debatte. Der Bundesrat unterstützt die Schweizer Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2026 und will bei einer Vergabe bis zu 995 Millionen Franken springen lassen. Zudem erlaubt das IOC erstmals eine limitierte Defizitgarantie des Gastgeberlandes. Unklar bleibt, wer im Falle einer Kostenüberschreitung einspringt. Die Stimmung in der Bevölkerung und in der Politik ist verhalten, die olympischen Träume Graubündens scheiterten im Frühjahr bereits an der Urne. Hinzu kommt, dass der Wintersport aufgrund des Klimawandels an Bedeutung verliert. «Angesichts kürzerer Winter und Schneemangels läuft eine Positionierung der Schweiz als Wintersportdestination ganzjährigen Strategien zuwider» bilanziert Conradin.
15.11.2017. Der Winter steht vor der Tür: In vielen Skigebieten laufen die Schneekanonen bereits auf Hochtouren. Doch die Skifahrerzahlen sinken, die immensen Investitionen in den Ausbau der Skigebiete sind kaum noch zu rechtfertigen. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass Skifahren kein Geschäftsmodell mit Zukunft ist, stellt Katharina Conradin, Präsidentin CIPRA International, fest.
Von Katharina Conradin, Präsidentin CIPRA International
Die Ersteintritte in Skigebiete in der Schweiz sind regelrecht eingebrochen – um mehr als ein Drittel in den letzten 25 Jahren. Auch in Italien geht der Trend eindeutig nach unten, und im Vergleich zu 1995 fahren ein Drittel weniger Österreicher Ski als noch Mitte der 1990er Jahre. Wachstum ist nur noch dort möglich, wo es gelingt, anderen Skigebieten Gäste abzuwerben. Die Konsequenz dieser Entwicklung: Ein Viertel bis ein Drittel aller Skigebiete in den Alpen arbeitet bereits heute defizitär. Die schneearmen Winter der letzten Jahre verschärfen die Situation weiter.
Umso absurder mutet es an, dass jährlich immer noch Hunderte Millionen Euro in den Ausbau der Skigebiete investiert werden: Von der geplanten Skigebietsverbindung Ötztal-Pitztal in Österreich übers Sudelfeld in Deutschland und Andermatt-Sedrun in der Schweiz bis hin zu Les Vans in Frankreich schlummern noch unzählige Projekte in den Schubladen der PlanerInnen. Viele werden derzeit wieder aus den Schubladen geholt, wie die CIPRA aufzeigt. Auch am Riedberger Horn wurde letzte Woche ein langjähriger Rechtsstreit besiegelt – zu Ungunsten der Natur und wider jegliche Finanzvernunft.
Doch je mehr in den Skisport investiert wird, umso schwieriger wird die Abkehr davon. Denn irgendwann ist der Skizirkus «too big to fail». Und weil nicht geschehen kann, was nicht geschehen darf, springen Staaten oder Gemeinden in die Bresche und übernehmen das Defizit, was zum Verschuldungsrisiko der öffentlichen Hand beiträgt.
Doch: Wir verbauen mit diesen Investitionen nicht nur die Berge – wir verbauen unsere Zukunft. Denn alles Geld, das heute in den Ausbau von Skigebieten investiert wird, fehlt für die Entwicklung zukunftsfähiger Projekte jenseits vom energie- und landschaftsfressenden Wintertourismus. Es darf nicht sein, dass wir weitermachen wie bisher, weil wir zu blind sind, uns eine Zukunft ohne Skifahren vorzustellen! Es ist Zeit, umzudenken und eine Zukunft in den Alpen ohne Skilifte zu planen – gemeinschaftlich, ganzheitlich und aufbauend auf regionalen Strategien, wie es die CIPRA in ihrem Positionspapier «Sonnenwende im Wintertourismus» skizziert.
Die Zahl der Skifahrer im Alpenraum stagniert seit Jahren, dennoch wird allerorts in neue Lifte investiert. Warum nur? Katharina Conradin, Präsidentin von Cipra International, plädiert für ein Umdenken angesichts des Klimawandels.
Interview mit Katharina Conradin von Hans Gasser in der Süddeutschen Zeitung