Stefan Grass
Leiter des Komitees Olympia-kritisches Graubünden
2019: Kaum jemand möchte noch Olympische Winterspiele. Das liegt auch an einem harten Gegner aus der Schweiz.
2018: Seit den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 zeigt sich die fehlende Sinnhaftigkeit von solchen Sportgrossveranstaltungen im Alpenraum. Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden, der seit 18 Jahren die Kandidaturen für Olympische Winterspiele in Graubünden für 2010, 2014, 2022 und 2026 erfolgreich bekämpfte, zieht Bilanz.
2018: Stefan Grass hat die Kandidatur für Olympische Spiele in Graubünden gebodigt. Jetzt soll er Sion 2026 verhindern.
Mauspfeil auf dem Titel zeigt Medium, Datum und Lead:
14.03.2018
Die Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni hat gestern einen Sieg im Kampf um eine nationale Olympia-Abstimmung errungen. Sie verrät, was sie an Olympia stört und wie es nun weitergehen soll. (Südostschweiz)
Mit Silva Semadeni sprach Olivier Berger
Das Schweizer Stimmvolk soll über die Olympiakandidatur von Sion für das Jahr 2026 abstimmen können. Mit 92:87 Stimmen bei sieben Enthaltungen hat der Nationalrat gestern eine entsprechende Motion der Bündner SP-Nationalrätin Silva Semadeni überwiesen. Das überrascht – auch die Urheberin des Vorstosses.
Frau Semadeni, Ihre Motion wurde vom Nationalrat überwiesen. Das kam überraschend. Woran hat es gelegen, dass Ihr Vorstoss eine Mehrheit gefunden hat?
SILVA SEMADENI: Ich glaube, es waren vor allem zwei Punkte, die den Ausschlag gegeben haben. Zum einen ist eine Milliarde Franken, die der Bund an die Spiele bezahlen soll, sehr viel Geld. Zum anderen will offenbar eine Mehrheit des Rates, dass das Volk mitreden kann. Dahinter steht auch die Überzeugung, dass ein solches Grossprojekt einen möglichst breiten Rückhalt in der Bevölkerung braucht.
Müsste Olympia diesen Rückhalt nicht eher dort haben, wo die Spiele stattfinden sollen? Jetzt sagen die Bündner und Basler den Wallisern und Waadtländern, ob sie Spiele durchführen sollen oder nicht.
Die Abstimmung auf eidgenössischer Ebene würde nur stattfinden, sofern das Wallis vorher Ja zu den Spielen gesagt hat. Sagt das Wallis Nein, dann hat sich die ganze Sache erledigt. Wie gesagt, der Bund soll sich mit einer Milliarde Franken an den Kosten beteiligen, und alle Kantone sollen an die Gewährleistung der Sicherheit beitragen. Das geht die ganze Schweiz etwas an.
Sie selber haben Ihren Ruf als «Olympiakillerin» zementiert. Erst haben Sie die Spiele in Graubünden gebodigt, jetzt wollen Sie auch der Walliser Kandidatur den Garaus machen …
… Moment! Ich weiss, ich habe in einzelnen Medien diesen Ruf (lacht). Ganz so ist es aber nicht. Ich habe mich in meinem Vorstoss nicht gegen Olympia im Wallis geäussert; ich habe nur gefordert, dass der Bundesrat eine referendumsfähige Vorlage vorlegt, damit das Schweizervolk bei dem Thema mitreden kann.
Trotzdem: Eine Olympiafreundin sind Sie jetzt nicht gerade.
Wie ich schon im Abstimmungskampf in Graubünden immer gesagt habe, ist Olympia in der heutigen Form zu gross, zu teuer, zu fremdbestimmt. Die öffentliche Hand bezahlt enorme Summen und muss die Spiele nach den Regeln des Olympischen Komitees ausführen; dieses kassiert Milliarden für Fernsehrechte und von Sponsoren. Solange das so bleibt, bin ich gegen Spiele in der Schweiz.
Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass die Spiele dann einfach an Staaten vergeben werden, wo man es beispielsweise mit den Menschenrechten und der Demokratie nicht so genau nimmt?
Das ist so. Aber das Internationale Olympische Komitee verliert irgendwann ein Gesicht, wenn es die Winterspiele nur noch an Halbdiktaturen vergibt. Die nächsten Spiele finden in Peking statt; dort hat es so gut wie nie Schnee, und die Menschenrechte werden nicht eingehalten. Die Spiele dieses Jahr in Pyeongchang haben die einheimische Bevölkerung kaum interessiert. Zurück bleiben unnötige Infrastrukturen wie die Bobbahn, für die allein 60 000 Bäume gefällt wurden. Auf lange Sicht kann und wird das so nicht weitergehen.
Weiter geht es mit Ihrer Motion im Ständerat. Dort stehen die Chancen schlecht.
Ich kann es nicht voraussagen. Wichtig wäre, dass der Ständrat schon im Juni sowohl über die Motion wie über die Bundesmilliarde für Olympia entscheiden würde. So bliebe Zeit für eine Volksabstimmung im Februar 2019 – kurz nach der Einreichung des Bewerbungsdossiers.
13.03.2018. Der Zeitplan für die Kandidatur «Sion 2026» ist eng. Linke und SVP liessen sich davon nicht beirren. Der Erfolg der Olympiagegner ist aber zu relativieren. (NZZ)
Von Heidi Gmür, Bern
Noch am Vortag schien die Motion von SP-Nationalrätin Silva Semadeni kaum Chancen zu haben. Sie selber glaubte, es werde eng, sprach von starkem Lobbying seitens Swiss Olympic. Tatsächlich hatte Semadeni zwar die SP hinter sich und die Grünen, aber weder FDP noch CVP – und die SVP war gespalten: An deren Fraktionssitzung hatten 27 der Anwesenden gegen die Motion gestimmt und 25 dafür. Am Dienstag aber kam es anders: Mit 92 zu 87 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat dafür aus, dass der geplante Milliardenkredit des Bundes für «Sion 2026» in eine referendumsfähige Vorlage gepackt wird, wie von Semadeni gefordert. 43 der anwesenden SVP-Nationalräte stimmten ihrer Motion zu, nur noch 19 waren dagegen, 4 enthielten sich. Damit stiessen sie gleich zwei der ihren vor den Kopf: Bundesrat Guy Parmelin sowie Nationalrat Jürg Stahl, Präsident von Swiss Olympic.
Kandidatur mit Vorbehalt?
Ein Spaziergang war es aber auch für Semadeni nicht. Die Bündnerin, die sich bereits 2013 und 2017 an vorderster Front und mit Erfolg gegen Winterspiele in Graubünden eingesetzt hatte, wurde davor am Rednerpult regelrecht in die Mangel genommen. Elf Nationalräte, unter ihnen – wen wundert’s – vier Walliser, reihten sich für Fragen an Semadeni auf, sie antwortete, zunehmend amüsiert, gewandt mal auf Französisch, mal auf Italienisch, mal auf Deutsch. Ihr wichtigstes Argument war dabei nicht die Ablehnung der Spiele an sich, eines, wie sie sagte, durch das Internationale Olympische Komitee (IOK) «fremdbestimmten Megaprojekts». Es war ein demokratiepolitisches: «Gerade in der demokratischen Schweiz darf der Bevölkerung das Recht auf Mitsprache bei wichtigen Fragen nicht verwehrt bleiben.» Der enge Fahrplan für «Sion 2026» dürfe da keine Ausrede sein.
Tatsächlich hatte der Bundesrat in seiner ablehnenden Antwort auf die Motion festgehalten, dass die Entscheide zur Finanzierung der Spiele «bis zur Eingabe der Kandidatur im Januar 2019 vorliegen müssen». Mit einer referendumspflichtigen Vorlage könne der Zeitplan «nicht eingehalten» werden. Dieser Einwand scheint allerdings übertrieben: Stimmt der Ständerat der Motion ebenfalls zu, wäre ein Urnengang zwar frühestens im Februar 2019 möglich, und noch wahrscheinlicher erst im Mai 2019. Das Dossier könnte aber dennoch fristgerecht eingereicht werden, es wäre einfach mit einem Vorbehalt behaftet, wie auch Stahl auf Anfrage bestätigte. Das IOK befindet erst im Oktober 2019 über den Austragungsort der Spiele 2026.
Ball liegt beim Ständerat
Laut Stahl würde ein solcher Vorbehalt die Kandidatur aber sicher schwächen, und Parmelin bezeichnete ihn nach der Debatte im Nationalrat immerhin noch als «enormes Problem». Die Aufregung über den Erfolg der Motion im Nationalrat ist freilich ebenfalls zu relativieren: Im Ständerat verfügen FDP und CVP, anders als im Nationalrat, über eine Mehrheit – und können folglich den Vorstoss definitiv versenken.
Bleibt die Frage, warum sich die SVP plötzlich so klar hinter die Motion gestellt hat. Fraktionschef Thomas Aeschi glaubt, es habe letztlich das Argument überwogen, «dass es nie falsch sein kann, bei solch grossen Ausgaben das Volk zu befragen». Dies ist aus seiner Sicht auch konsistent mit der Forderung der SVP, ein Finanzreferendum einzuführen. Parmelin wiederum hatte just die Tatsache, dass es dieses Instrument nicht gibt, als Argument gegen die Motion angeführt.