Stefan Grass
Leiter des Komitees Olympia-kritisches Graubünden
2019: Kaum jemand möchte noch Olympische Winterspiele. Das liegt auch an einem harten Gegner aus der Schweiz.
2018: Seit den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 zeigt sich die fehlende Sinnhaftigkeit von solchen Sportgrossveranstaltungen im Alpenraum. Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden, der seit 18 Jahren die Kandidaturen für Olympische Winterspiele in Graubünden für 2010, 2014, 2022 und 2026 erfolgreich bekämpfte, zieht Bilanz.
2018: Stefan Grass hat die Kandidatur für Olympische Spiele in Graubünden gebodigt. Jetzt soll er Sion 2026 verhindern.
Mauspfeil auf dem Titel zeigt Medium, Datum und Lead:
17.11.2013
Als die Bündner Anfang März dieses Jahres die Olympiapläne für 2022 mit fast 53 Prozent Nein-Stimmen begruben, waren sich viele Analysten einig, dass sich eine verstockte und provinzielle Bergbevölkerung ihre eigene Zukunft verbaut habe (Schweiz am Sonntag).
KOMMENTAR VON ANDREA MASÜGER
«Inzwischen gab es zwei weitere Volksentscheide im unmittelbaren Ausland, die ebenfalls negativ ausfielen: Im Frühling erteilten die Wiener mit 72 Prozent Nein-Stimmen Sommerspielen im Jahr 2028 eine Absage und am letzten Wochenende lehnte München die Winterspiele 2022 ab. Nach dem Bündner Nein war für viele klar, dass München kalt lächelnd zugreifen würde. Stattdessen resultierten in den vier vorgesehenen Austragungsorten Nein-Mehrheiten zwischen 52 und 60 Prozent.
Vor diesem Hintergrund entpuppt sich der Bündner Entscheid als geradezu progressiv. Immerhin stimmten die direkten Austragungsorte St. Moritz und Davos einer Kandidatur zu. In Wien und in München lehnten aber die Direktbetroffenen zum Teil massiv ab, so etwa das Wintersport-Mekka Garmisch-Partenkirchen. Es geht bei der Ablehnung also nicht um Gemeinden wie Almens, Pitasch oder Zillis, sondern um Weltmetropolen wie Wien und München. Und dies notabene angesichts der Tatsache, dass im Falle der Winterspiele 2022 in Bayern die Infrastruktur weitgehend bestanden hätte und zumindest das ökologische Argument nicht besonderes Gewicht hatte. Auch spielt die politische Gesinnung kaum mehr eine Rolle: In Graubünden wurde der Abstimmungskampf zu einem Streit zwischen Bürgerlichen und Links-Grünen, in Wien hingegen wurde die Kandidatur von der rot-grünen Koalition geplant und massiv propagiert.
Man muss deshalb feststellen, dass Olympiakandidaturen in europäischen Demokratien kaum noch getragen werden. Es gibt eine Art Anti-Olympia-Konsens von den ländlichen Gebieten bis zu den urbanen Zentren. Die Gründe sind vielfälig, von der Angst vor Gigantismus und Umweltschäden bis zu einem massiven Misstrauen gegenüber den IOC-Funktionären. Wenn sich solche Spiele aber nur noch in autokratischen Staaten und Diktaturen umsetzen lassen, dürften ihre Tage über kurz oder lang gezählt sein. Es bräuchte dann einen zweiten Baron de Coubertin, der die ganze Angelegenheit mit neuem Sinn füllt.»
Präsident Thomas Bach hat nicht verstanden, dass das Votum in Bayern auch als Grundsatzkritik am Internationalen Olympischen Komitee gemeint war. Ein Kommentar des Tagesspiegel-Sportchefs Friedhard Teuffel.
«Wer ist eigentlich mutlos? Bürger in Bayern, denen es genügt, dass regelmäßig ein Wintersport-Weltcup bei ihnen vor der Haustür stattfindet sowie ab und zu mal eine Weltmeisterschaft und die auf Olympische Spiele einfach nicht scharf sind? Oder das Internationale Olympische Komitee (IOC), das die Entscheidung der Bayern als hasenfüßig abtut? IOC-Präsident Thomas Bach macht es sich jedenfalls gerade ziemlich leicht, wenn er jetzt die Ablehnung der Winterspiele in München allein mit fehlender Bereitschaft der Bürger erklärt, sich auf ein Wagnis einzulassen. Er hat wohl nicht verstanden, dass das Votum in Bayern auch als Grundsatzkritik an seiner Organisation gemeint war.
Die Welt ist groß genug und aus einem Nein zu Olympia in Bayern, Graubünden und Wien mag noch kein großer Trend abzulesen sein. Doch es sind Fragen. Zum einen die, wie attraktiv die Olympischen Spiele überhaupt noch sind. Zum anderen die, ob die finanziellen Risiken zwischen IOC und dem Austragungsort tatsächlich gerecht verteilt sind. Beide Fragen hängen miteinander zusammen. Denn für die Bürger in Bayern sind die Spiele nicht oder nicht mehr attraktiv genug, um sie nach den Bedingungen des Internationalen Olympischen Komitees austragen zu wollen.
Der Ruf der olympischen Bewegung hat gelitten. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Unterstützung in Bayern trotz eines verbesserten Bewerbungskonzepts gesunken ist. Und das im Jahr nach den Spielen von London, die als besonders begeisternd gefeiert wurden. So furchtbar viel nachhaltiger lassen sich Olympische Winterspiele nicht veranstalten, wie es in München und den drei anderen Gemeinden geplant war. Die Sorge, sich einer nicht-demokratischen Organisation wie dem IOC auszuliefern war jedoch stärker. Diese Sorge müssten allmählich das IOC und ihr deutscher Präsident ernst nehmen.»
Volksabstimmungen über die Olympischen Winterspiele 2022 im Spannungsfeld zwischen direktdemokratischer Partizipation und kommerziellem Großprojekt.
Von Stefan Müller, Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik, erschienen am 20.11.2013 bei Regierungsforschung.de, Politikmanagement & Politikberatung.