Stefan Grass
Leiter des Komitees Olympia-kritisches Graubünden
2019: Kaum jemand möchte noch Olympische Winterspiele. Das liegt auch an einem harten Gegner aus der Schweiz.
2018: Seit den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 zeigt sich die fehlende Sinnhaftigkeit von solchen Sportgrossveranstaltungen im Alpenraum. Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden, der seit 18 Jahren die Kandidaturen für Olympische Winterspiele in Graubünden für 2010, 2014, 2022 und 2026 erfolgreich bekämpfte, zieht Bilanz.
2018: Stefan Grass hat die Kandidatur für Olympische Spiele in Graubünden gebodigt. Jetzt soll er Sion 2026 verhindern.
Mauspfeil auf dem Titel zeigt Medium, Datum und Lead:
27.06.2019
Das IOC hat den Bewerbungsprozess für Olympische Spiele reformiert und der Sportwelt das als "Evolution der Revolution" verkauft. Dahinter steckt aber vielmehr, dass Olympia zum Ladenhüter geworden ist. (ARD)
Kommentar von Robert Kempe in der Sportschau im ARD
Für Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees waren die Abstimmungen über die Olympischen Spiele stets Highlights. Ihnen vorangegangen war meist monatelanges Umgarnen seitens der Bewerber, schließlich war jede der immer um die rund einhundert IOC-Stimmen wertvoll. So wertvoll, dass bei einigen Vergaben Geld floss. Verbürgt ist das etwa bei dem Skandal um die Spiele von Salt Lake City 2002. Massiv im Verdacht des Stimmenkaufs sind aber auch jüngere Vergaben: Rio 2016 oder auch die nächsten Olympischen Spiele in Tokio im kommenden Jahr. Japans Olympia-Boss Tsunekazu Takeda trat vor einigen Wochen von seiner IOC-Mitgliedschaft zurück, er hatte, so der Verdacht der Ermittler, nicht ausschließlich mit der Schönheit Japans und den modernen Sportpalästen geworben.
Und nun also der Bruch mit der olympischen Tradition des Stimmen-Gedeales. Künftig sollen zwei Kommissionen, eine für Winter- und eine für Sommerspiele, Kandidaten für die Spiele ausfindig machen. Die IOC-Mitglieder sollen letztlich nur noch abnicken. Aber: Mit der von IOC-Präsident Thomas Bach so genannten "Evolution der Revolution" will das IOC nicht dem Fehlverhalten seiner Mitglieder vorbeugen, die Änderungen haben deutlich tiefer gehende Gründe.
Denn Olympia ist zum Ladenhüter geworden. Aus den Bewerberrennen der Vergangenheit wurde Siechtum, sie sind mittlerweile mehr schlechte PR als Scheinwerferlicht für das Produkt Olympia und seinen Besitzer, dem IOC. Vor zwei Jahren rettete sich der Ringekonzern mit einer Doppelvergabe an Paris für 2024 und Los Angeles für 2028 noch so gerade vor der größten Peinlichkeit. Viele Städte, darunter Hamburg, Boston und Rom waren aus dem Bewerberrennen ausgetreten. In Hamburg waren es die Bürger, die Olympia einen Riegel vorgeschoben hatten. "Nolympics" wurde vielerorts zu einer Protestbewegung gegen Gigantismus, Verschwendung und Umweltzerstörung.
"Nolympics" als Protestbewegung
Und auch wenn es schwierig scheint, werden die Probleme der Sommerspiele noch von denen des Winters übertrumpft. Nach den Skandalspielen in Sotschi 2014, wo Milliarden pulverisiert wurden, folgten Spiele in der südkoreanischen Provinz, wo schon heute von einem versprochenen olympischen Erbe so gut wie nichts zu finden ist. 2022 geht es ins Winterparadies Peking.
Selbst in den Wintersporthochburgen in Europa und Nordamerika zogen sich die Städte zurück, weil es entweder mangelnde Unterstützung der Politik gab - wie bei der österreichischen Bewerbung mit Graz - oder letztlich die Bürger gegen Winterspiele votierten wie in Calgary oder im schweizerischen Wallis. Olympia umweht weiter ein massives Misstrauen, daran ändert auch die Wahl Mailands für 2026 nichts. Die "Evolution der Revolution", die das IOC nun vorgenommen hat ist überlebenswichtig. Vor allem für eines: Für das milliardenschwere Geschäftsmodell der Olympischen Spiele. Und damit für das IOC selbst.